20 August 2010

Pakistan: Jetzt bekommen die Flutopfer ein Gesicht

Die Not in Pakistan ist groß - fast unvorstellbar groß. Doch trotz der schleppend angelaufenen Spendenbereitschaft in Deutschland sind bereits 1,6 Millionen Euro beim DRK eingegangen. Dies liegt vor allem an der neuen Berichterstattung aus der Region.

„Ich habe noch kaum ein Jahr mit einer solchen Fülle großer Katastrophen erlebt wie 2010“, sagt Rudolf Seiters, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Es habe mit dem Erdbeben in Haiti begonnen. Jetzt loderten die Waldbrände in Russland, und Pakistan sei von der schlimmsten Naturkatastrophe seiner Geschichte getroffen – mit bislang etwa 1500 Todesopfern und Hunderttausenden, die ihre Existenzgrundlage verloren, weil die Ernte vernichtet und das Vieh ertrunken ist. Da sei es kein Wunder, sagt Seiters zur Erklärung der schleppend anlaufenden Spenden für Pakistan, dass auch in Deutschland eine gewisse Spendenmüdigkeit um sich greife. Bis zum Mittwoch seien dennoch 1,6 Millionen Euro beim DRK eingegangen, nach nur 200 000 Euro noch am Wochenende.

„Die Medienberichterstatter haben wie die Behörden Pakistans auch erst nach Tagen erkennen können, was sich da anbahnt“, sagt Seiters. „Jetzt kommen aber die Bilder von der großen Not im Land, von den Kindern, die krank geworden sind, weil sie schmutziges Wasser trinken müssen. Und diese Bilder erreichen die Herzen der Menschen.“ Das Spendenaufkommen wachse jetzt schnell. Anfangs habe bei manchen sicher auch das politische Image Pakistans eine Rolle gespielt: Wir spenden nicht, weil die Hilfe in Korruptions-Kanälen versickert oder gar bei den Taliban landet. „Das Deutsche Rote Kreuz ist seit Jahren in Pakistan tätig“, sagt Seits. „Ich stehe dafür, dass Spenden dort bei den Bedürftigen ankommen.“

Spendenaufkommen für Pakistan wächst

Bei der „Aktion Deutschland hilft“ (ADH), in der zwölf Hilfsorganisationen zusammengeschlossen sind, waren bis zum Mittwochvormittag, am 14. Tag nach Beginn der Flutkatastrophe, rund 2,5 Millionen Euro Spenden eingegangen. Pressereferentin Birte Steigert sagt, für die Opfer des Erdbebens in Haiti vom 13. Januar mit 250 000 bis 300 000 Toten und 300 000 Verletzten seien 14 Tage danach schon gut elf Millionen Euro gespendet worden, für die Opfer des Tsunami in Südasien vom 27. Dezember 2004, der auch viel deutsche Touristen traf, sogar 75 Millionen Euro. Das Spendenaufkommen für Pakistan sei aber seit Freitag (600 000 Euro) nach verstärkter Berichterstattung in Rundfunk und Presse schnell gewachsen. „Haiti etwa war in den Medien sehr gut abbildbar, und es gab schnell diese gewaltige Zahl an Todesopfern“, sagt Steigert zu den Gründen für die vergleichsweise geringen Flutspenden. „In Haiti konnte jeder sofort sehen, was da passiert war. In Pakistan stellt sich schleichend heraus, wie schlimm es ist. Erst allmählich wird offenbar, dass Hunderttausende zugrunde gehen könnten, wenn wir sie nicht mit Soforthilfe erreichen, mit Nahrung, Trinkwasser, Kleidung, Medikamenten.“ Die Spendensammler der in der ADH zusammengeschlossenen Hilfsorganisationen hätten anfangs zudem gehört, für Pakistan spende man nichts, weil die Hilfe entweder bei den Eliten dort lande oder bei islamistischen Terroristen. Mit dem Land verbänden viele die Begriffe „Atommacht“, „Korruption“ und „Chaos“.

Am Mittwoch teilte das UN-Büro für Humanitäre Koordination (Ocha) mit, in den Flutgebieten hätten mehr als 650 000 Familien bislang nicht einmal eine Notunterkunft. In den zurückliegenden Tagen war es zu teils gewalttätigen Protesten von Flutopfern gekommen, die seit Tagen vergebens auf Hilfe warten und der Regierung Untätigkeit vorwerfen. Der Leiter des Amtes für Meteorologie in Pakistan, Arif Mehmood, sagte in Islamabad, für die kommenden fünf bis sechs Tage sei kein Regen zu erwarten. Es könne allerdings noch einen Monat dauern, bevor die Überschwemmungen zurückgingen.

„Mit jedem Tag wissen wir besser, wie bitter nötig unsere Hilfe ist“

Simone Pott, Pressesprecherin der Welthungerhilfe, berichtet, bis zum Dienstagabend seien 540 000 Euro auf dem Konto eingegangen, beim „Bündnis Entwicklung Hilft“, dem die Welthungerhilfe angehöre, seien bis zum Mittwoch 6,8 Millionen Euro eingegangen. „Dass es so langsam losging mit den Spenden, liegt sicher auch daran, dass viele nichts mehr geben können. Sie haben dieses Jahr schon gespendet, etwa für Haiti.“

Auch Simone Pott spricht davon, dass man das Ausmaß der Katastrophe in Pakistan erst allmählich habe erkennen können. In der Fachsprache der Helfer heißt das „Flow-on-Set“. „Bei dem Erdbeben in Haiti stand drei Stunden später das erste Video auf Youtube“, sagt Pott. „Das Ausmaß war schnell offensichtlich, die menschlichen Schicksale lagen offen vor jedermanns Augen. Acht Tage später gab es schon große Spenden-Galas mit Abermillionen Fernsehzuschauern. Jetzt, in Pakistan, hat die braune Flut erst einmal alles zugedeckt. Es waren kaum Menschen zu sehen, man konnte das Leid und die Not nicht personalisieren, die Opfer hatten kein Gesicht.“ Jetzt aber, seit dem Wochenende, kämen die Berichte der Korrespondenten und die Bilder. Das Thema dränge endlich nach vorn in der öffentlichen Wahrnehmung. „Mit jedem Tag wissen wir besser, wie bitter nötig unsere Hilfe in Pakistan ist, wie sehr wir jeden Euro brauchen.“

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