08 Februar 2009

Ärzte ohne Grenzen: "Täglich sterben 400 Simbabwer an Aids"

Von Jens Wiegmann
Menschen trinken Abwasser, Fäkalien fließen durch die Straßen, das Gesundheitssystem ist am Ende. Frank Dörner, Geschäftsführer Deutschland von Ärzte ohne Grenzen, ist gerade aus Simbabwe zurückgekehrt. Er berichtet über die Angst vor Cholera und einer Krankheit, die noch viel gefährlicher ist.

WELT ONLINE: Wie ist die Situation in Simbabwe?

Frank Dörner: Das Abwassersystem ist zusammengebrochen, die Fäkalien fließen durch die Straßen. Die Regenzeit macht gerade alles noch schlimmer, die Brunnen werden überflutet und verseucht. In einigen bevorzugten Bezirken der Hauptstadt gibt es zwar noch eine Trinkwasserversorgung. Aber auch das Wasser ist bedenklich, wie unsere Proben zeigen. Die Chlorung reicht offenbar nicht aus, die Entfernungen, über die das Wasser gepumpt wird, sind zu groß, und die Konzentration mit Chlor ist zu gering.

WELT ONLINE: Aber woher bekommen die Menschen Wasser?

Dörner: Zum Teil schöpfen sie es ab, wenn eine Leitung ein Leck hat. Andere haben ihre eigenen kleinen Brunnen gegraben. Man kommt recht schnell an Wasser, weil der Pegel hoch liegt. Dadurch ist aber auch die Gefahr der Verunreinigung groß, das Wasser ist häufig verseucht. Dasselbe gilt für natürliche Quellen. Und im schlimmsten Fall, wie beispielsweise in dem Ort Kadoma, wo es einen Monat lang überhaupt kein Frischwasser gab, trinken die Menschen das Abwasser.

WELT ONLINE: Wie stark hat sich die Cholera, die vor allem durch verunreinigtes Wasser übertragen wird, verbreitet? Laut Weltgesundheitsorganisation ist die Krankheit außer Kontrolle.

Dörner: Als schlimmster Fall wurde bislang eine Infektion von 60.000 Menschen in Simbabwe angenommen diese Zahl ist längst überschritten. Und es werden noch wesentlich mehr werden, mindestens bis Ende April, Anfang Mai. Irgendwann ist die Durchseuchung zwar so hoch, dass bei den Überlebenden eine Immunisierung eintritt. Aber nur gegen die jeweilige, bestimmte Variante der Cholera, und nur für ein paar Monate. Dann kann alles von vorn losgehen. In Simbabwe sehen wir eine der schlimmsten Choleraepidemien der Neuzeit.

WELT ONLINE: Ist Hilfe noch möglich?

Dörner: Wenn man anfangs schnell auf einen Ausbruch reagiert und Infizierte rechtzeitig behandelt, kann man die Epidemie gut eindämmen. Die Sterberate beträgt etwa fünf Prozent, wer rechtzeitig Flüssigkeit und Antibiotika bekommt, hat gute Chancen. Die Reaktionen waren aber schleppend und unkoordiniert, Hilfsorganisationen hatten allerlei administrative Hürden zu überwinden. Heute kümmern wir uns um die Kranken. Ärzte ohne Grenzen behandelt etwa 75 Prozent aller Cholerainfizierten im Land und versuchen, so viele Leben wie möglich zu retten.

WELT ONLINE: Wie steht es um das simbabwische Gesundheitssystem?

Dörner: Es galt früher als sehr gut, mittlerweile ist aber alles zusammengebrochen. Normale Menschen haben keinen Zugang mehr zum öffentlichen Gesundheitssystem, es ist nicht mehr existent. Es gibt noch private Krankenhäuser, die sind jedoch ebenfalls fast leer, weil sich die Bezahlung in US-Dollar oder südafrikanischen Rand kaum jemand leisten kann. Die Regierung hat zwar gerade zwölf Nullen bei der einheimischen Währung, dem Sim-Dollar, gestrichen, um die Hyperinflation in den Griff zu bekommen, aber der Effekt dürfte gering sein, wenn überhaupt spürbar. Das Geld ist inzwischen so wenig wert, dass es die Leute achtlos auf die Straße werfen.

WELT ONLINE: Wie groß ist die Gefahr durch Aids?

Dörner: Meines Erachtens noch viel größer als durch Cholera. Simbabwe gehört zu den Ländern mit den meisten HIV-Infektionen beziehungsweise Aids-Kranken man schätzt 15 bis 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Täglich sterben schätzungsweise 400 Simbabwer an Aids. Auch hier findet eine Behandlung quasi nicht statt. Wir behandeln beispielsweise in dem Slum Epworth bei Harare 2400 Erkrankte mit antiretroviralen Medikamenten. Aber von den 500000 Einwohnern dürften etwa 20000 akut behandlungsbedürftig sein. Besonders gefährlich ist die Kombination von Aids, Cholera und Unterernährung. Diese Menschen haben kaum eine Überlebenschance.
Quelle: Welt online

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