02 Januar 2008

Unruhen in Kenia: Rotkreuzmitarbeiter aus Fahrzeugen gezerrt

Mehr als 70'000 Vertriebene in Kenya
Massaker in Eldoret – prekäre Ruhe in Nairobi
Während sich die Situation in der Hauptstadt Nairobi nach den Wahlen etwas beruhigt hat, finden im Westen Kenyas brutale ethnische Vertreibungen statt. In den letzten fünf Tagen sind in den Unruhen mindestens 300 Personen getötet worden.

Die Unruhen nach dem «Wahlsieg» von Präsident Kibaki sind auch am Dienstag weitergegangen. Während in der Hauptstadt Nairobi eine prekäre Ruhe herrschte, setzten sich die ethnisch und politisch motivierten Gewalttaten im Westen fort. In Eldoret, der fünftgrössten Stadt des Landes, attackierte der Mob eine Kirche, in der sich mehrere Hundert Vertriebene geflüchtet hatten. Die Angreifer zündeten das Gotteshaus an, worauf mindestens 30 Personen bei lebendigem Leib verbrannten. Bei den meisten Opfer soll es sich um Angehörige der Kikuyu-Ethnie gehandelt haben, die in Eldoret und anderen Städten von Westkenya aufs Korn genommen werden. Kibaki ist ein Kikuyu, und nun müssen unschuldige Kikuyu in weiten Teilen des so genannten Rift Valley für den Wahlbetrug des Präsidenten büssen. Eldoret liegt rund 260 Kilometer nordwestlich von Nairobi. Die Stadt ist wegen unzähliger Strassensperren auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen.

Der stellvertretende Generalsekretär des kenyanischen Roten Kreuzes, James Kisia, schätzte die Zahl der Vertriebenen in und um Eldoret auf mindestens 20'000. Das lokale Spital sei überfordert, vor allem auch weil ein grosser Teil des Personals aus Angst vor den Ausschreitungen nicht mehr zur Arbeit erscheinen könne. Andere Quellen innerhalb des Roten Kreuzes sprachen von 100 Verwundeten und 40 Leichen im Spital von Eldoret, wobei nicht klar war, ob letztere Zahl die Toten aus der eingeäscherten Kirche enthält. Das Rote Kreuz verfüge über genügend Hilfsmaterial, erklärte Kisia weiter, doch kämen die Fahrzeuge nicht mehr nach Eldoret durch. Es gebe unzählige Strassensperren von jugendlichen Banden, die mit Buschmessern und Knüppeln bewaffnet seien. «Unsere Mitarbeiter wurden zum Teil aus ihren Fahrzeugen gezerrt und mussten ihre Identitätskarten vorweisen. Zum Glück waren keine Kikuyu unter ihnen.» Die Gewalttäter kommen aus der Reihe der Kalenjin-Ethnie.
Lange Tradition der Gewalt
Ethnisch und politisch motivierte Gewalt hat in den von Kalenjin besiedelten Gebieten um Eldoret eine lange Tradition. Nach der Unabhängigkeit verteilte der erste Präsident des Landes, der Kikuyu Jomo Kenyatta, grosse Ländereien im Rift Valley an Angehörige seiner eigenen Ethnie – auf mehr oder weniger legale Weise. Die einheimischen Ethnien haben diese «Landnahme» aber nie wirklich akzeptiert. Hinzu kam der Neid auf den relativen wirtschaftlichen Erfolg, den die Kikuyu als Bauern und Geschäftsleute hatten. In den Neunzigerjahren unterstützten die Kalenjin die Regierung, während die Kikuyu auf der Seite der Opposition standen. Schon damals kam es vor den Wahlen zu «ethnischen Säuberungen», unter denen die Kikuyu zu leiden hatten. Heute ist die Situation umgekehrt: Die Kikuyu unterstützen mehrheitlich Präsident Kibaki, während viele Kalenjin - besonders im Gebiet von Eldoret - Anhänger des Oppositionspolitikers William Ruto vom Orange Democratic Movement (ODM) sind. Kenyas Rotes Kreuz rief Ruto und Kibaki auf, ihre Anhänger zur Mässigung aufzufordern. Ausserhalb der Region von Eldoret rechnet das Rote Kreuz mit mindestens weiteren 50'000 Vertriebenen, was die Summe im ganzen Land auf rund 70'000 bringt. Mehrere Hundert Kikuyu sind aus den grenznahen Gebieten inzwischen ins Nachbarland Uganda geflüchtet.
Polizei völlig überfordert
In der Region von Eldoret war die ethnisch motivierte Gewalt nicht nur auf das Stadtgebiet beschränkt. Via Telefon erzählte ein Tourist, der auf einer Farm rund 30 Kilometer nordwestlich von Eldoret festsitzt, von brennenden Behausungen in der Gegend. Ganz in seiner Nähe seien nachts Häuser von Kikuyu mit Kreuzen markiert und am nächsten Tag niedergebrannt worden. Die Strasse nach Eldoret sei wegen der andauernden Übergriffe zu gefährlich. Die Polizei in der Gegend sei völlig überfordert, berichtete James Kisia vom Roten Kreuz ausserdem. Die Polizisten seien hungrig, weil viele Geschäfte geschlossen hätten. Ausserdem verfügten die Polizeifahrzeuge kaum über Sprit, und die Sicherheitskräfte seien zahlenmässig viel zu schwach,. um dem wütenden Mob von Hunderten und manchmal Tausenden von jungen Männern die Stirn zu bieten.
Klare Worte Lambsdorffs
In Nairobi waren derweil einige Geschäfte wieder geöffnet. Die sichtbare Polizeipräsenz war um einiges geringer als in den letzten Tagen. An einer Pressekonferenz stellten die Wahlbeobachter der Europäischen Union (EU) einen vorläufigen Bericht zu den Wahlen vom 27. Dezember vor. Während die Parlamentswahlen einigermassen akzeptabel gewesen seien, hätten die Präsidentenwahlen weder den regionalen noch den internationalen Anforderungen genügt. Der Chef der Wahlbeobachter, Alexander Graf Lambsdorff, erwähnte zwei Wahlkreise, in denen Präsident Kibaki durch Fälschungen mehr als 47'000 Stimmen zugeschanzt wurden. In mehreren Wahlkreisen hätten seine Beobachter zudem nicht verifizieren können, wie die Einzelergebnisse zum Endresultat aufaddiert worden seien. Die klaren, aber diplomatisch verklausulierten Worte von Graf Lambsdorff lassen nur folgende Schlussfolgerungen zu: Die Wahlergebnisse wurden zugunsten von Kibaki gefälscht. Und damit ist die Herrschaft des Präsidenten nicht legitim. Die EU-Beobachter forderten ausserdem eine unabhängige Untersuchung des Stimmenaddierens. Ein ausländischer Botschafter bezeichnete Kibakis Vereidigung am Rand der Medienkonferenz als einen Staatsstreich.
Quelle: NZZ

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