28 Dezember 2006

"Irgendwann gewöhnt man sich auch an Artilleriefeuer"

In Sri Lanka eskaliert der Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Tamilen-Rebellen (LTTE). Die Oberösterreichische Rotkreuzhelferin Andrea Reisinger hat dort geholfen.

OÖN: Sie sind soeben aus Sri Lanka zurückgekehrt. Hat der wiederaufgeflammte Bürgerkrieg die Tsunami-Hilfe kapputt gemacht?

Andrea Reisinger: Der Krieg hat die Wiederaufbauhilfe nach dem Tsunami sicher um einiges schwerer gemacht. Wir hatten Probleme beim Materialtransport. Nach den schweren Zwischenfällen hat sich auch das lokale Personal geweigert, ins Projektgebiet zu fahren. Auch wir waren in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Wir mussten unsere Arbeit täglich neu planen.

OÖN: Heißt das, dass die Tsunami-Hilfe dennoch immer weitergegangen ist?

Reisinger: Ja. Das liegt daran, weil wir alles lokal organisieren. Die Leute bauen sich ihre Häuser meist selber. Wir schauen, dass sie genug Baumaterial haben bzw. genug Geld, dass sie es sich selbst kaufen können.

OÖN: Mussten Sie durch den Krieg jetzt auch wieder Katastrophenhilfe machen?

Reisinger: Ja. Wie nach dem Tsunami haben wir für die Vertriebenen Babypakete, Kochgeschirr und Zelte verteilt. Da ich die einzige Frau beim Roten Kreuz war, habe ich auch Hygienepakte für Frauen verteilt. Viele kleinere Hilfsorganisationen haben ihr Personal abgezogen. Aber wir als Rotes Kreuz sind geblieben. Unsere Stärke ist die Katastrophenhilfe.

OÖN: Hatten Sie nie Angst? Es werden ja ständig Helfer massakriert.

Reisinger: Wenn man überall die Soldaten sieht, dann hat man schon ein sehr mulmiges Gefühl. Aber irgendwie gewöhnt man sich auch daran. Selbst an die Artilleriefeuer. Zum Glück waren wir aber in einem großen Team. Allein wäre es sicher schwieriger gewesen.

OÖN: Sie waren die einzige Frau in der Nothilfe. Wie fühlt man sich da?

Reisinger: Ich bin natürlich aufgefallen. Aber die Leute haben akzeptiert, dass ich eine Organisation vertrete. Im Grunde genommen zählt einfach das Geld. Wenn man als Ausländer etwas bringt, wird man akzeptiert.

OÖN: Gibt es ein Erlebnis, das Sie bei Ihrem Einsatz besonders beeindruckt hat?

Reisinger: Ja. Da gab es Menschen, die schon fünf Mal vertrieben wurden. Die hatten absolut nichts. Aber dennoch haben sie ihre Würde bewahrt und sich bemüht, sich schön anzuziehen. Oder im Osten: Da gab es eine Region, die war total abgeriegelt. Nur ein einziger Arzt ist geblieben. Obwohl er nie wusste, ob er Medikamente oder Diesel für die Generatoren im Spital bekommt, hat er weitergearbeitet. So ein Engagament motiviert einfach.

OÖN: Wie geht es Ihnen jetzt in Österreich? Hat Sri Lanka ihr Leben verändert?

Reisinger: Man kriegt einfach eine andere Prioritätensetzung und unterscheidet, was wichtig ist. Man sieht aber auch, dass es auch bei uns arme Menschen gibt. Und die Armut bei uns ist vielleicht eine Spur ärger als in Sri Lanka. Denn dort ist die große Mehrheit arm.

OÖN: Sehen Sie eine Friedenshoffnung für Sri Lanka?

Reisinger: Wenn man rational denkt, dann muss es einfach irgenwann Frieden geben. Doch Krieg ist nicht rational. Krieg hängt von politischen Interessen ab.

Quelle: OÖ Nachrichten vom 28.12.2006


Weitere Informationen zum Wiederaufbauprogramm des ÖRK in Sri Lanka: Der Standard;

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