02 Februar 2010

Hellmonsödterin in Port-au-Prince: „Für Albträume blieb keine Zeit“

LINZ/PORT-AU-PRINCE. Sie hat in Haiti nach Menschen gegraben und Überlebende versorgt: Nun ist die Hellmonsödterin Ruth Schöffl (33) aus Port-au-Prince zurückgekehrt. Die OÖN sprachen mit ihr.

OÖN: Sie haben bei Ihrem Einsatz nach Menschen gegraben. Haben Sie Überlebende geborgen?

Schöffl: Ja, wir haben sieben Tage nach dem ersten Beben eine ältere Dame im Schutt gefunden. Ein Wunder. Und die gibt es in Haiti immer wieder. Als die Frau die Mannschaft mit den zirka zehn Helfern gesehen hat, hat sie weinend zu jedem einzelnen gesagt: „Je t’aime – ich liebe dich!”

OÖN: Sie war unverletzt?

Schöffl: Beinahe – sie war nur an der Hüfte verwundet, erschöpft und ausgetrocknet. Die Frau hatte einen enormen Willen zu überleben. Diese Situationen ermuntern die Helfer, selbst wenn die Nachbeben das Land in Angst und Schrecken versetzen.

OÖN: Wie haben Sie die Nachbeben erlebt?

Schöffl: Alle Menschen sind aus ihren Ruinen auf die Straßen gelaufen. Es herrschte absolute Panik und Chaos.

OÖN: Das sind Ausnahmesituationen, die unter die Haut gehen.

Schöffl: Die Zerstörung ist unvorstellbar. Ich hoffe, dass ich nie wieder so viele arme Menschen auf einmal sehen muss. Nicht nur Port-au-Prince ist zerstört, auch Leogane, eine Stadt mit 150.000 Einwohnern. Kinder laufen streunend durch die Straßen und suchen heulend nach ihren Eltern.

OÖN: Verfolgen einen solche Bilder auch in den Schlaf?

Schöffl: Für Albträume blieb mir keine Zeit, denn die Helfer schlafen sehr wenig. Man muss jede Ruhepause nützen, auch körperlich ist es sehr anstrengend drüben – die enorme Hitze setzt jedem zu.

OÖN: Und jetzt, einige Tage nach Ihrer Rückkehr?

Schöffl: Die Bilder kommen zurück, ich beginne, aufzuarbeiten. Ich verarbeite durch Reden. Ich habe in diesen zwei Wochen so viel erlebt. Schreckensbilder zum einen. Aber ich war in Haiti ja auch zehnmal so aktiv wie sonst. Es ist nur ein Teil von mir wieder zurück in Österreich.

OÖN: Wie?

Schöffl: Wenn ich heute bei der Haustür hinaus gehe, dann denke ich an Haiti. Da würden jetzt die Leute vor ihren Zelten sitzen, Angehörige suchen.

OÖN: Welche Hilfe brauchen die Menschen nun am dringendsten?

Schöffl: In vier bis sechs Wochen setzt die Regenzeit ein. Dann müssen alle Notzelte stehen. Die Leute haben ja kein Dach über dem Kopf. Auch medizinische Hilfe fehlt. Selbst wenn das Spendenvolumen verdreifacht werden würde, wäre nicht genug Geld da.

OÖN: Bei uns wurde der Hilfseinsatz als ineffizient und zu langsam kritisiert. Wie haben Sie das erlebt?

Schöffl: Man darf nicht vergessen, dass viele Mitarbeiter von Organisationen, die in Haiti schon vor dem Beben stationiert waren, traumatisiert sind. Wer solche Angst hat, der kann nicht hundertprozentig funktionieren. Der Aufbau von Hilfsstrukturen nach einer solchen Katastrophe dauert einfach. Man hat zwei Möglichkeiten.

OÖN: Die wären?

Schöffl: Man kann schnell sein. Dann bekommen halt wieder nur die Stärksten etwas und nicht jene, die es am nötigsten haben. Wir von der Caritas haben oft völlig bewusst ein paar Stunden oder sogar einen Tag „hergeschenkt“. Haben Frauen – sie sind für die Ernährung der Angehörigen zuständig – Bons gegeben und ihnen gesagt: Kommt morgen, da und da hin und ihr bekommt für den Bon Lebensmittel.

OÖN: Wie präsent war das US-Militär?

Schöffl: Sehr präsent und das war gut so. Ich hatte kein negatives Erlebnis mit den Soldaten. Wenn sich 5000 Menschen, die Hunger haben, um Lebensmittel anstellen, dann kommt es schon mal zu Drängeleien. Die Soldaten haben das in geordnete Bahnen gelenkt.

OÖN: Sind Sie stolz auf sich?

Schöffl: Ich bin eher verwundert, dass mir Leute sagen, ich hätte meine Sache gut gemacht. Ich habe mich für die Arbeit bei einer Hilfsorganisation entschieden, da war es einfach nur ein nächster Schritt.

OÖN: Wann fliegen Sie wieder nach Haiti?

Schöffl: Ich weiß es noch nicht. Es sind viele lokale Caritas-Helfer im Land. Sie kennen die Strukturen besser und können so auch konkret helfen.
Quelle: ooeNachrichten
Bild: Caritas

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