DR. ANNABELLE HOUDRET: Die Zahl derjenigen, die durch unzureichende Trinkwasserversorgung sterben, ist heute höher als die Zahl derjenigen, die durch gewaltsame Konflikte sterben. Das sind enorm viele Menschen.
Nun haben die Vereinten Nationen den Zugang zu sauberem Wasser zum Menschenrecht erklärt. Die Betroffenen können es in den jeweiligen Ländern aber nicht einklagen. Was nützt ein Menschenrecht, das nicht einklagbar ist?
HOUDRET: Auch wenn es keine konkreten Verpflichtungen beinhaltet, hat es natürlich einen großen symbolischen Wert. Jetzt kommt es darauf an, wie man das umsetzt, ob es bestimmte Verpflichtungen für die Staaten beinhaltet. Dazu soll leider erst Ende nächsten Jahres der Endbericht der Sonderbeauftragten des Menschenrechtsrates in Genf vorgestellt werden, der sich konkret damit beschäftigt, wie man dieses Menschenrecht unter anderem auch als internationales Recht verankern kann.
Welche Möglichkeiten sehen Sie persönlich, das Menschenrecht international durchzusetzen?
HOUDRET: Im internationalen Wasserrecht gibt es ja zum Beispiel Bestimmungen, dass Flüsse, die abwärts in eine anderes Land fließen, nicht verschmutzt oder blockiert werden dürfen. Es geht nicht primär darum, zu sagen, dass der Staat finanziell dafür aufkommen muss, dass jeder Mensch Zugang zu einer bestimmten Menge sauberen Trinkwassers hat. Sondern der Staat sollte die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Zum Beispiel strengere Regulierungen über private Trinkwasseranbieter verhängen, die Wasserversorgung in besonders abgelegenen Gebieten sicherstellen, internationale Kooperationen suchen und Gelder einwerben, um das Ziel zu erreichen.
Die UN haben es sich zum Fernziel gesetzt, die Zahl der 800 Millionen Betroffenen bis 2015 zu halbieren. Wie realistisch ist das?
HOUDRET: Das hängt ganz von den einzelnen Ländern ab. Das Problem ist ja nicht, dass es insgesamt zu wenig Wasser gibt. Vielfach gibt es einfach zu wenig Investitionen in die Infrastruktur und zum Teil erhebliche Verteilungsprobleme, die mit Korruption, Wasserverlusten und Prioritäten für die Landwirtschaft oder für Tourismus in wasserknappen Gebieten zusammenhängen. Da sind manche Länder gut vorangekommen, während andere noch ihre Probleme haben. Teilweise hat das auch mit dem Klimawandel zu tun.
Klimawandel gilt ja zusammen mit Bevölkerungswachstum und zunehmender Verschmutzung als das große Problem für die Süßwasservorkommen. Bewegt sich die Welt da sehenden Auges auf einen Kollaps zu?
HOUDRET: Es ist nicht so, dass wir keine technischen Lösungen hätten. Das sind auch nicht wirkliche neue Herausforderungen, sondern die bestehenden werden verschlimmert. Erhöhter Wasserbedarf in der Landwirtschaft, dadurch dass wir mehr Nahrungsmittel brauchen, auch dadurch, dass mehr Wasser verdunstet, die Böden unfruchtbar werden, erhöhter Bedarf für Energie, die Schmelze von den Gletschern aber auch extreme Wetterereignisse, die die Wasserinfrastruktur zerstören können. Und dann natürlich die wachsende Gefahr von Verteilungskämpfen.
Wenn wir, wie Sie sagen, die nötige Technologie haben, warum setzen wir sie dann nicht ein?
HOUDRET: Der Mensch muss mit der Technik auch vertraut sein. Klassisches Beispiel: In der Landwirtschaft kann enorm viel Wasser durch Tröpfchenbewässerung gespart werden. Wir haben aber gerade in Entwicklungsländern eine häufig wenig gebildete Landbevölkerung, die abgelegen wohnt, die oft vom Staat vernachlässigt wird. Die sind wenig darauf vorbereitet, von einem Tag auf den anderen hochtechnische Vorhaben umzusetzen, und haben persönlich nicht unbedingt einen unmittelbaren Vorteil davon. Das ist auch ein Grund, warum einige dieser Vorhaben gescheitert sind.
Sie haben gerade auch von Verteilungskämpfen gesprochen. Was glauben Sie als Konfliktforscherin: Was für Konflikte um Wasser kommen auf uns zu?
HOUDRET: Es gibt natürlich Probleme auf internationaler Ebene, zum Beispiel im Euphrat-Tigris-Becken zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak. Die Kriegsgefahr dieser Verteilungsfragen wird aber auch sehr hochgespielt. Ich glaube nicht, dass Kriege zwischen Staaten in der Zukunft nur wegen des Wassers geführt werden. Das zeigt zumindest die Vergangenheit.
Das wesentliche Konfliktpotential sehe ich auf innerstaatlicher Ebene. Zum Beispiel bei Investitionen in einen Golfpark oder in eine Hotelanlage, die beide sehr viel Wasser brauchen, in einer wasserarmen Gegend. Das geht dann oft zulasten traditioneller Kleinbauern. Aber auch viele Konflikte zwischen Groß- und Kleinbauern. Große Landwirte, die für die Exportlandwirtschaft produzieren, sind in der Lage, neue Technologien zu bezahlen, um an tiefe Reserven ranzukommen. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel weiter. Die Brunnen für die Kleinbauern haben dann plötzlich kein Wasser mehr. Solche Probleme haben wir in Marokko, Mauretanien, im Prinzip in der ganzen Sahara-Zone. Und dann natürlich auch Stadt-Land-Konflikte. Schnell wachsende städtische Gebiete bekommen den Vorzug bei der Trinkwasserversorgung. Dabei wird vergessen, dass für die Landbewohner die Bewässerung eine Lebensgrundlage darstellt.
Das produziert doch in den Entwicklungsländern jede Menge Verlierer. Müssen wir mit einer Zunahme der Flüchtlingsströme rechnen?
HOUDRET: Ja. Wasser ist schon heute ein Faktor für Migration, nicht nur Richtung Europa, sondern auch innerhalb und zwischen diesen Ländern. Das ist aber nicht der einzige Faktor, sondern das hängt mit der generell schlechten Lebenssituation zusammen. Es ist oft so, dass Betroffene auch in anderen Bereichen diskriminiert sind, was solche Krisen natürlich verschärft.
Was kann hier in Deutschland jeder Einzelne zur Entschärfung oder Vermeidung solcher Konflikte beitragen?
HOUDRET: Wir müssen zum einen unsere Konsummuster in Frage stellen. Welche Lebensmittel importieren wir eigentlich, die aus teilweise sehr wasserarmen Gebieten stammen und sehr viel Wasser enthalten? Was bedeutet das für die Menschen vor Ort, die nur in der Minderheit an den Gewinnen aus diesen Exporten beteiligt sind? Tomaten und Paprika aus wasserknappen Ländern im Nahen und Mittleren Osten zum Beispiel.
Zum anderen müssen wir auch unser Urlaubsverhalten hinterfragen: Es gibt genügend wasserknappe Länder, in denen die tollsten Hotelanlagen stehen, die tollsten Golfparks. In Mauretanien etwa muss das Wasser zu den Hotelanlagen über hunderte Kilometer transportiert werden. Wollen wir so etwas unterstützen, müssen wir in solchen Anlagen wirklich Urlaub machen? Oder gibt es nicht alternative Möglichkeiten, in wasserknappen Ländern den Tourismus zu fördern und zu nutzen, durch wassersparsame Anlagen und verstärktes Wasserrecycling? Wir müssen uns fragen, welche Kosten unser Luxus vor Ort bedeutet. Der ganze Tourismussektor hat dieses Thema bisher wenig aufgegriffen.
Quelle: Frankfurther Neue Presse vom 10. September 2010
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