Aus der Vogelschau sieht Burundi idyllisch aus: wolkenverhangene Berggipfel, bewaldete Hänge, grüne Täler und Savannen, dazwischen der silberne Spiegel des Tanganjikasees, groß wie ein Binnenmeer. Nach der Landung bestätigt sich der Eindruck, es handle sich um einen afrikanischen Ableger der Schweiz: gut asphaltierte, saubere Straßen, saftige Wiesen, auf denen Rinder mit weit ausladenden Hörnern weiden, von hochgewachsenen Tutsi-Hirten bewacht, entfernte Verwandte der alten Ägypter, die vor 400 Jahren nach Ostafrika einwanderten und die ackerbauenden Hutu, ein Bantu-Volk aus dem Kongobecken, unterwarfen.
Seitdem zieht der Streit der Volksgruppen seine blutige Spur durch die Geschichte Ruandas und Burundis, deren Einwohner - zu 14 Prozent Tutsi und zu 85 Prozent Hutu - einander periodisch massakrieren: 1972 wurden in Burundi 200 000 Hutu-Evolués, lese- und schreibkundige Angehörige der Unterschicht, von der Tutsi-Armee ausgelöscht, und beim bisher schlimmsten Völkermord im benachbarten Ruanda haben Hutu-Milizen 1994 eine halbe Million Tutsi niedergemetzelt. .......... Am späten Nachmittag überqueren wir die Grenze nach Tansania. Es gießt wie aus Kübeln: links und rechts der Straße vom Regen gepeitschte Zelte, unter die sich tansanische Soldaten ducken. Der Genozid in Burundi und Ruanda treibt immer neue Flüchtlingswellen über die Grenze: eine Völkerwanderung, deren Ausmaß ich erst am nächsten Tag begreife, als ich das Lager Benaco besichtige, das mittlerweile zur zweitgrößten Stadt Tansanias geworden ist.
So weit das Auge reicht, sind die kahlen Hügel mit Hütten übersät, in denen 211 000 Menschen auf engstem Raum unter Plastikplanen vegetieren. Nur den freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes und der Médecins sans frontières ist es zu verdanken, daß noch keine Hungersnot oder Seuche ausgebrochen ist. Die Flüchtlinge leben von Reis, Mais und frischem Gemüse, das sie auf dem Grund eines leergetrunkenen Sees anpflanzen - trotz des Verbots der tansanischen Militärs, die ihnen die Nutzung des Bodens verwehren und nachrückende Familienangehörige am Überschreiten der Grenze hindern, nicht aus bösem Willen, sondern weil die Aufnahmekapazität erschöpft ist. Ähnlich wie im benachbarten Zaire ist die Bevölkerung der Grenzregion hoffnungslos in der Minderheit gegenüber 600 000 Hutu, von denen bisher nur 600 freiwillig nach Ruanda zurückgekehrt sind.
"Wir erleichtern ihnen die Rückkehr, aber wir zwingen sie nicht dazu", meint Elko Brouwer, ein Niederländer, der im Auftrag der IFRK in wenigen Wochen eine Großstadt aus dem Boden gestampft hat. Aus seiner Sicht ist Benako ein Erfolg: Für nur drei Dollar pro Person hat sein Team Tausende von Latrinen gebaut, die weniger kosten, als ein Europäer im Jahr für Toilettenpapier ausgibt. Zwar sind die Bewohner von Benako mit allem Lebensnotwendigen versorgt: In den Lagerstraßen werden alte Reifen zu Sandalen verarbeitet, Schneider und Friseure üben unter freiem Himmel ihr Handwerk aus, und im Hotel "Exotica" wird aus Bananen gebrautes Bier ausgeschenkt. Aber der Anschein von Normalität täuscht, denn die Lagerinsassen sind schutzlos dem Terror der Hutu-Milizen ausgeliefert, die Minderjährige zwangsrekrutieren und Rückkehrwillige drangsalieren. In das vom Deutschen Roten Kreuz aus Fertigbauteilen errichtete Hospital wird ein junger Mann eingeliefert, der bei einer Messerstecherei schwer verletzt worden ist; auf die Frage nach dem Hergang schüttelt er stumm den Kopf. ....
zum Artikel....
Quelle: Von Hans-Christoph Buch, DIE ZEIT, 24/1995
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen