Tränen kullern einer jungen Mutter die Wangen hinunter, während sie ihr Kind in den Armen schaukelt. “Mein Baby, mein Baby, mein Baby ist krank”, ruft sie. Eine ehrenamtliche Rotkreuzhelferin fragt sie, wann das Kind krank wurde und welche Symptome es hat. Die Helferin beschließt, dass die Lage ernst ist und die Mutter ihren kleinen Sohn in das Beobachtungszelt bringen soll, die das Rote Kreuz in La Piste, dem großen Lager für Erdbebenopfer in Port-au-Prince, eingerichtet hat.
“Wir hoffen noch das Beste – nämlich dass sich die Cholera nicht in Port-au-Prince ausbreitet – aber wir bereiten uns auf das Schlimmste vor”, sagt Borry Jatta, Hygienespezialist beim Britischen Roten Kreuz. “In diesem Camp wohnen mindestens 50.000 Menschen, es ist eines der größten in Port-au-Prince. Wir wussten, wenn die Cholera in die Hauptstadt kommt, dann kommt sie zuerst nach La Piste.”
Die Vorsorge hat sich gelohnt. Mindestens 300 Menschen mit choleraähnlichen Symptomen haben in den vergangenen drei Tagen die Cholerastation aufgesucht. Die Station ist gut genug ausgestattet, um mit dem Patientenandrang zurechtzukommen. Sie besteht aus zwei Teilen: In der einen Hälfte halten sich die Menschen auf, die eine orale Rehydratation benötigen, sprich durch Trinken sehr viel Flüssigkeit und Elektrolyte aufnehmen müssen und ansonsten die meiste Zeit schlafen. In der anderen Hälfte liegen die schweren Fälle: Menschen, die schon so viel Flüssigkeit verloren haben, dass sie intravenös behandelt werden müssen. Ehrenamtliche Rotkreuzhelfer desinfizieren die Station regelmäßig mit Chlor, das sie auf Boden, Betten, Eimer und Wände sprühen.
Die neunjährige Widdine lebt seit dem Erdbeben mit ihrer Familie in La Piste. Ihr Vater brachte sie letzte Nacht in die Station. “Wir hatten Glück, dass wir hierher kommen konnten”, sagt er. “Widdine hatte in ein paar Stunden durch Erbrechen und Durchfall sehr viel Flüssigkeit verloren. Ich hatte über das Rote Kreuz schon von der Cholera gehört und dachte, Widdine könnte sie haben. Also brachte ich sie hier her, wo man sie beobachtet und ihr Flüssigkeit gibt. Langsam geht es ihr wieder besser.” Widdine gelingt sogar ein Lächeln, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Behausung auf der anderen Seite der Zeltstadt macht.
“Das Wichtigste ist, dass die Menschen die Symptome kennen”, erklärt Jatta. “Die Leute müssen nicht an Cholera sterben, aber sie brauchen eine schnelle Behandlung. Deshalb hämmern wir seit den ersten Cholerafällen in Haiti den Lagerbewohnern ein, wie sich die Krankheit bemerkbar macht – und vor allem, dass sie bei dem Verdacht auf Cholera sofort zu uns kommen sollen. Dadurch konnten wir glücklicherweise einige Fälle früh erkennen und Leben retten.”
Andere haben nicht so viel Glück. Ein zweijähriger Junge liegt regungslos in den Armen seiner Mutter, während ihn Krankenschwestern an den Tropf hängen. Seine Augen gehen auf, man sieht weiß und rot, aber es fehlt ihm sogar die Energie, um die Augen zu schließen. Rotkreuzhelfer geleiten ihn und seine Eltern zu einem wartenden Krankenwagen, denn derart schwere Fälle kommen in ein nahe gelegenes Cholerabehandlungszentrum, wo sie mehr medizinische Hilfe erhalten.
“Wir haben Angst”, sagt Widdines Vater. “Seit dem Erdbeben trauen wir uns nicht mehr, in einem Haus zu schlafen. Wir machen alles, um unsere Familie am Leben zu halten, aber es ist sehr schwer. Wir haben Angst vor der Cholera. Aber wir sind auch glücklich, weil uns geholfen wird. Und ich danke Gott, dass mein kleines Mädchen wieder gesund wird.”
Quelle: blog.drk.de
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