Berlin - Taliban-Kämpfer, die von Mitarbeitern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Erster Hilfe ausgebildet werden: Das ist wohl kaum, was Spender vor Augen haben, wenn sie an Weihnachten ein paar Euro an die einzige Hilfsorganisation der Welt überweisen, die dreimal den Friedensnobelpreis erhielt.
Und doch: Allein im April, das bestätigte ein IKRK-Sprecher SPIEGEL ONLINE, schulte die Nichtregierungsorganisation mehr als 70 Angehörige der bewaffneten Opposition in Afghanistan und versorgte sie zum Teil auch mit entsprechender Ausrüstung. In den vergangenen Monaten gab es zudem bereits mehrere ähnliche Ausbildungsrunden.
"Das ist einfach ein Teil unseres Mandats", sagt IKRK-Sprecher Christian Cardon. "Als Hüter des internationalen humanitären Völkerrechts streben wir danach, allen Menschen in bewaffneten Konflikten zu helfen." Wer an solchen Konflikten teilnimmt, so Cardon, sollte sich mit Erster Hilfe auskennen. Die Versorgung Verwundeter sei schließlich Grundidee der IKRK-Gründung.
Schnellkurse in Schlachtfeld-Chirurgie
Seine Organisation macht denn auch kein Geheimnis aus der Aktion: Auf der Website des IKRK wird sie beschrieben und unter anderem damit begründet, dass die medizinische Versorgung in Teilen Afghanistan völlig am Boden liegt. "Oft fehlt es schon an der Notfallversorgung, von fortgeschrittener Schlachtfeld-Chirurgie ganz zu schweigen", heißt es dort. Außer Taliban-Kämpfern und anderen Mitgliedern der "bewaffneten Opposition" schulte das IKRK daher auch Zivilisten und Angehörige der afghanischen Sicherheitsbehörden sowie Taxifahrer, da Taxis oftmals den Ersatz für Ambulanzen bilden. Ärzte bildete das IKRK in Kurzlehrgängen in Grundzügen der Schlachtfeld-Chirurgie weiter.
Das IKRK, so Sprecher Cardon weiter, sei grundsätzlich unparteiisch und neutral. Es sei wichtig, dass sich jeweils alle Konfliktparteien vom IKRK gleich behandelt fühlen. Nur so gelinge es der Organisation, regelmäßig Zugang zu Orten zu erhalten, die anderen versperrt blieben - etwa zu Kriegsgefangenen, Verschleppten oder dem US-Gefangenlager Guantanamo Bay.
Deutsche Politiker unterstützen das Vorgehen des IKRK - obwohl die Taliban im Afghanistan-Krieg Gegner der Bundeswehr sind. "So eine Nachricht irritiert vielleicht auf den ersten Blick", sagt Gernot Erler, Fraktionsvize der SPD. "Faktisch aber wird jede Erste-Hilfe-Ausbildung immer Opfern helfen - Kämpfern wie Zivilisten -, nicht jedoch in bewaffneten Konflikten den Ausschlag geben. Und schließlich ist es in Afghanistan die Strategie der Kabuler Regierung und der Internationalen Gemeinschaft, aus den Taliban-Kombattanten von heute regierungstreue Bürger von morgen zu machen."
"Wenn wir das IKRK erhalten wollen, müssen wir das hinnehmen"
Die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP, Elke Hoff, sieht es ähnlich: "Ich finde das Vorgehen des IKRK richtig und wichtig, damit der Kontakt zu den Menschen in den umkämpften Gebieten Afghanistans nicht völlig abbricht. Der Zugang zu schwierigen Regionen muss erhalten bleiben, damit möglichst viele Menschen dort medizinische Hilfe erhalten können." Ihr Fraktionskollege Rainer Stinner, zuständig für Verteidigungspolitik, meint: "Wenn wir das IKRK erhalten wollen, müssen wir das hinnehmen."
Auch die Grünen sehen keinen Skandal. "Grundprinzip der Arbeit des Internationalen Roten Kreuzes ist die Neutralität", sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Omid Nouripour. "Dazu gehört, dass das Rote Kreuz Menschen unabhängig davon, auf welcher Seite sie stehen, in Erster Hilfe ausbildet und ihnen Ersthelfer- und Notfallausrüstung übergibt." Es bleibe aber zu hoffen, dass "diese Geste dazu führt, dass die Taliban beginnen, die Neutralität des Roten Kreuzes und des Sanitätspersonals zu respektieren, anstatt sie zu beschießen".
Dem britischen "Guardian" zufolge kritisiert nicht einmal die Nato die Ausbildung von Taliban-Kämpfern in Erster Hilfe: "Die Nato hat größten Respekt vor der humanitären Arbeit des IKRK", zitiert das Blatt einen Nato-Sprecher. "Wir erkennen an, dass diese Arbeit unparteiisch ausgeübt werden muss." Auch Nato-Soldaten würden jeden Verwundeten behandeln, der zu ihnen gebracht wird - "unsere Gegner eingeschlossen".
Widerstand in Kabuler Ministerien
Widerstand scheint sich bisher einzig in afghanischen Regierungskreisen zu regen. Die Taliban seien "wie Tiere", sie verdienten es nicht, "wie Menschen behandelt zu werden", sagte laut "Guardian" ein nicht namentlich genanntes hochrangiges Mitglied der Lokalregierung in der Provinz Kandahar.
Das Verteidigungs- und das Innenministerium in Kabul wollten sich laut "Guardian" lieber nicht äußern. Sie beschrieben die Angelegenheit lediglich als "kontrovers".
Andererseits macht die Ausbildung der Taliban als Ersthelfer nur einen Bruchteil der Operationen des IKRK in Afghanistan aus. Wesentlich mehr Ressourcen flossen im April etwa in Projekte wie Wasseraufbereitung, Gefangenenbetreuung, Versorgung mit Lebensmitteln und Anpassen von Prothesen. "Wir helfen in bewaffneten Konflikten immer allen Seiten", sagt IKRK-Sprecher Cardon. "Das ist das Ziel unsere Mission."
Quelle: der Spiegel
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen